GMP News Juni 2020 – EuGH-Entscheidung zur Frage des urheberrechtlichen Schutzes für gewerblich anwendbare Erzeugnisse, deren Form ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt ist

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EuGH-Entscheidung zur Frage des urheberrechtlichen Schutzes für gewerblich anwendbare Erzeugnisse, deren Form ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt ist / Kausalitätstheorie / Absage an Multiplicity-of-Forms Test (EuGH, C-833/18 Brompton Bicycle Ltd ./. Chedech/Get2et).

Der EuGH lehnt den von deutschen Verletzungsgerichten angewandten Multiplicity-of-Forms-Test ab. Die Tatsache, dass es auch bei technisch bedingen Funktionen eine Designalternative gibt, führt nicht zur Bejagung des Urheberrechtsschutzes. Vielmehr, so der EuGH in der genannten Entscheidung, sei entscheidend, ob gestalterische Erwägungen überhaupt eine Rolle bei dem Design gespielt hätten. Sei dies nicht der Fall, sei von ausschließlich technischer Bedingtheit auszugehen und der Urheberrechtsschutz zu versagen (Kausalitätstheorie).

Vor dem Tribunal de l’entreprise délége in Belgien klagte der Hersteller Brompton Bicycle Ltd, Hersteller des nachstehend abgebildeten Klapprads

welches sich u.a. dadurch auszeichnet, dass es in drei verschiedene Positionen und insbesondere in vollständig zusammengeklappter Form leicht transportierbar ist, gegen einen Hersteller eines Klapprades aus Korea wegen behaupteter Urheberrechtsverletzung. Der Verletzer wandte ein, dass das Erscheinungsbild des Originalrades allein durch die technische Lösung bedingt sei, die darin besteht, sicherzustellen, dass dieses Fahrrad drei unterschiedliche Positionen einnehmen könne. Vor diesem Hintergrund sei dieses Erscheinungsbild urheberrechtlich nicht geschützt. Auf das entsprechende Vorabentscheidungsersuch nach Artikel 267 AEUV durch das Gericht in Belgien hat der EuGH mit Urteil vom 11. Juni 2020 wie folgt entschieden: Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Form bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig. Folglich sei es die Aufgabe des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, ob der Urheber des Erzeugnisses mit der Wahl von dessen Form seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, in dem er eine freie und kreative Entscheidung getroffen und das Erzeugnis dahingehend gestaltet hat, dass es seine Persönlichkeit wiederspiegelt. Nur dann sei die erforderliche Originalität für einen Werkschutz gegeben. Der Argumentation des Klägers, dass sich diese Originalität bereits daraus ergebe, dass das gleich funktionale Ergebnis auch mit anderen möglichen Formgestaltungen erreicht werden können, erteilte der EuGH eine Absage. Der Umstand, dass es alternative Formgestaltungen gebe, sei für die Beurteilung der Frage, von welchen Faktoren sich der Schöpfer in seiner Wahl habe leiten lassen, nicht ausschlaggebend.

Kommentar: Wie bereits in der Entscheidung doceram (EuGH vom 08.03.2018) zum Designschutz, erteilt der EuGH den von deutschen Verletzungsgerichten in der Vergangenheit angewandten sog. „Multiplicity-of-Forms“-Test eine Absage. Nach dieser Theorie soll eine – den Urheberrechtsschutz ausschließende – reine technische Funktionalität im Sinne des Artikel 81 GGV dann nicht vorliegen, wenn es eine Designalternative gibt, die die technische Funktion des Erzeugnisses ebenso erfüllen konnte (z.B. OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 11285-Autofelgen; GRUR-2012, 200 (205) Tablet PC). Nach Auffassung des EuGH, der die Theorie der Designalternative ablehnt, sei entscheidend, ob gestalterische Erwägung bei der Gestaltung des Erzeugnisses überhaupt eine Rolle gespielt hätten. Sei dies nicht der Fall, sei von einer ausschließlich technischen Bedingtheit auszugehen. Diese jetzt anwendbare Theorie wird als Kausalitätstheorie bezeichnet.

Immerhin wäre Brompton auch bei der Feststellung durch das Verletzungsgericht, das das Design des klägerischen Faltrades allein auf dessen technische Funktion beruhte, nicht gänzlich schutzlos gegen Nachahmerprodukte. Wie der BGH zuletzt in seiner Entscheidung Bodendübel (GRUR 2017, 734) klargestellt hat, kann sich ein Rechtinhaber bei technisch bedingter Gestaltung auf ergänzenden Leistungsschutz berufen. Dies jedoch nur, wenn das Gestaltungsmerkmal nur technisch bedingt, aber nicht technisch notwendig ist (BGH GRUR 2017, 734 RN31).

Quelle: EuGH (Vierte Kammer), Urt. V. 11.06.2020 – C 833/18 (Brompton Bicycle Ltd ./. Chedech/Get2Get).