GMP News September 2023: Umfang einer Widerklage von dem Unionsmarkengericht (Art. 128; Art. 124 Unionsmarkenverordnung)

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Umfang einer Widerklage von dem Unionsmarkengericht (Art. 128; Art. 124 Unionsmarkenverordnung)

Mit Urteil vom 08.06.2023 (C-654/21) hat der EuGH (Zehnte Kammer) in Bezug auf den Umfang einer in eine markenrechtlichen Verletzungsstreit als Verteidigungsmittel erhobenen Widerklage wie folgt entschieden:

„Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke sämtliche Rechte betreffen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet, ohne dass die Widerklage in ihrem Gegenstand durch den Rahmen begrenzt wird, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wird“.

Ausgangspunkt der Entscheidung war ein Vorabentscheidungsersuchen aus Polen. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte LM, Inhaber der Unionswortmarke „Multiselect“, gegen KP (Beklagter) eine Klage wegen Verletzung vorstehender Marke erhoben. Der Beklagte wiederum erhob Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit der angegriffenen Marke. Die Verletzungsklage wurde anschließend vollständig abgewiesen.

In Bezug auf die Widerklage stellte das Gericht in Polen die Vertragsfrage, inwieweit es über die Widerklage zu befinden habe, wenn ihr Gegenstand, wie im Ausgangsverfahren, über ein „Verteidigungsmittel“ gegen die Verletzungsklage hinausgehe, denn die Widerklage betreffe nicht nur die von der Hauptklage erfassten Waren und Dienstleistungen, sondern gehe darüberhinaus. Das vorlegende Gericht war der Auffassung, dass die Widerklage nur diejenigen Forderungen umfassen könne, die in einem tatsächlichen Zusammenhang mit dem Verletzungsverfahren stehen. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass das Hauptverfahren hinter die Widerklage „zurücktrete“.

Der EuGH dazu festgestellt: Mangels einer Definition des Begriffs „Widerklage“ in VO (EU) 2017/1001 sei festzustellen, dass darunter grundsätzlich eine Gegenklage zu verstehen sei, die der Beklagte in einem vom Kläger betriebenen Verfahren vor demselben Gericht erhebt (Verweis auf EuGH GRUR 2022, 1669 Rn. 36 – Gemeinde Bodman-Ludwigshafen).

Weiter, so der EuGH, Rn. 32, sei eine Widerklage nicht mit einem bloßen Verteidigungsmittel zu verwechseln. Es handele sich um einen gesonderten und eigenständigen Antrag, dessen prozessuale Behandlung von der Klage unabhängig ist und der so mit auch dann weiterverfolgt werden kann, wenn die Klage des Klägers abgewiesen wird. Somit, so der EuGH, ist der Begriff „Widerklage“ zwar als Rechtsbehelf zu verstehen, der die Erhebung einer Verletzungsklage voraussetzt und daher mit dieser im Zusammenhang steht, doch zielt dieser Rechtsbehelf darauf ab, den Streitgegenstand zu erweitern und die Anerkennung eines von der Klage gesonderten und eigenständigen Antrages zu erreichen, insbesondere um die betreffende Marke für nichtig erklären zu lassen (Rn. 38 unter Verweis auf EuGH Entscheidung GRUR 2022, 1669 Rn. 39 – Gemeinde Bodman-Ludwigshafen). Damit unterscheide sich die Widerklage von einem bloßen Verteidigungsmittel und ihr Schicksal hängt nicht von demjenigen der Verletzungsklage ab (Rn. 34).

Nach alledem kommt der EuGH zu folgendem Schluss: In Anbetracht des eigenständigen Charakters der im Art. 128 der Unionsmarkenverordnung vorgesehenen Widerklage, kann ihr Gegenstand somit nicht durch den Inhalt des Verletzungsverfahrens, in dessen Rahmen die Widerklage erhoben wird, begrenzt werden (Rn. 35).

Kommentar: In der anwaltlichen Praxis wird daher bei der Entscheidung, ob eine Verletzungsklage erhoben werden soll, gegen eine Verletzungshandlung, die nur einen relativ kleinen Teil des WDL-Verzeichnisses der herangezogenen Marke betrifft, tatsächlich eine Verletzungsklage erhoben werden soll. Der EuGH hat ja nunmehr klargestellt, dass das Risiko besteht, dass im Rahmen der Widerklage nach Art. 128, welcher auf sämtliche in der Verordnung geregelten Verfalls- oder Nichtigkeitsgründe gestützt werden kann (Art. 128, Abs. 1) die klägerische Marke gegebenenfalls vollständig zu Fall gebracht werden kann.

Quelle:

https://betriebs-berater.ruw.de/wirtschaftsrecht/urteile/Verhaeltnis-der-Widerklage-auf-Erklaerung-der-Nichtigkeit-einer-Unionsmarke-zur-Verletzungsklage-45030

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